Klavier lernen ohne Noten! Ohne Noten? Geht das denn? Vielleicht bist du auf der Suche nach einer Möglichkeit, Klavierspielen zu lernen ohne die „lästigen Noten“.
Natürlich kann man ein Instrument ohne Noten lernen. Noten sind ja nur ein Hilfsmittel. Allerdings ein sehr abendländisches. Wenn man sich nämlich mit Musik in anderen Teilen der Welt beschäftigt, wird man nur sehr selten über ein derart komplexes schriftliches Aufzeichnungssystem stoßen. Dort wird Musik eher überliefert, d.h. vom Meister an den Schüler, oder vom Vater an den Sohn weitergegeben. Das ist natürlich eine viel organischere Art, ein Instrument zu lernen.
Unter uns: Ich mag auch keine Noten. Vielleicht bin ich deshalb ja Jazzpianist geworden… Meine ersten Lieder habe ich ohne Noten (und ohne Unterricht) gelernt, indem ich solange auf unserer alten Heimorgel herumprobiert habe, bis ich die Melodie zu einem Weihnachtslied spielen konnte. Ich habe immer viel lieber improvisiert und nach Gehör gespielt.
Die meisten Dinge in unserem Leben lernen wir ganz ohne schriftliche Aufzeichnungen: Greifen, Stehen, Gehen, Rennen, Springen, Sprechen, Gestik und Mimik, … Nehmen wir einmal das Beispiel „Sprechen“. Ein Kind lernt Sprechen nicht, indem es Grammatik und Vokabeln büffelt, sondern durch Zuhören, Nachmachen und Ausprobieren. Es ist unheimlich faszinierend, das zu beobachten.
Kann man also ohne Noten Klavier spielen lernen? Kann man. Zumindest, wenn es nach den zahlreichen Videos und Tutorials auf YouTube oder kommerziellen Seiten geht. Dort kann man sich Taste für Taste etwas zeigen lassen und das dann nachspielen. Viele dieser Angebote sind wirklich gut gemacht und leicht verständlich. Auf meinem eigenen YouTube-Kanal habe ich übrigens auch solche Videos.
Ist Klavierspielen lernen ohne Noten der richtige Weg für dich? Das hängt davon ab, was du können willst. Ich könnte z.B. heute damit anfangen ein chinesisches Gedicht zu lernen, indem ich es mir wieder und wieder anhöre und so genau wie möglich einfach nachspreche. Kann ich deshalb tatsächlich chinesisch? Nein. Und genau so ist es mit diesen Vorspielen-Nachspielen-Tutorials: Du kannst dort ganz ohne Noten ein bestimmtes Lied auf eine bestimmte Weise lernen. Mir persönlich würde das aber nicht reichen, und vielleicht geht es dir genau so. Vielleicht willst du mehr. Mehr Freiheit. Aber wie?
Klavierspielen ohne Noten heißt für mich: Einfach hinsetzen und spielen. Nach Gehör, aus dem Gedächtnis, ganz frei Improvisiert, mal auf ganz andere Art gespielt, mit anderen Musikern spontan eine Session machen… Dafür wäre eine Ton-für-Ton-Vorlage, ob als Noten oder als Tutorial, viel zu unflexibel.
Freiheit, ob beim Sprechen oder beim Klavier spielen, kommt von selbst, wenn (Achtung!) man die Regeln (Aaaaahh!) kennt. Aber keine Panik! Damit sind keine starren „Musikgesetze“ gemeint, sondern die verborgenen Mechaniken, mit denen Musik funktioniert. Diese Mechaniken gilt es zu entdecken und dann anzuwenden. It‘s that simple.
Beispiel: Ich schreibe diesen Text, du liest ihn, und wir beide haben dabei vermutlich keine Sekunde über Grammatik nachgedacht. Und doch steckt sie in jedem Satz. Grammatik ist also auch eine Art „verborgene Mechanik“, nur eben im sprachlichen Bereich.
Richtig toll Musik machen, ohne von einer festen Vorlage abhängig zu sein, sich frei und kreativ am Klavier auszudrücken: Genau so sollte Klavierspielen sein!
Wie kannst du das lernen? Ganz einfach: Indem du in die Geheimnisse der Musik Schritt für Schritt vorstößt, und sie zunehmend auf dein eigenes Klavierspielen anwendest. Und auf einmal – spielst du frei Klavier, ganz ohne Noten, spielst so, wie es dir gefällt, machst deine eigene Musik! Tadaaa!
Zuerst die gute Nachricht oder die schlechte? Wähle aus!
Jetzt mal ehrlich: Auf dem Weg zum freien Klavierspielen wirst du um Noten kaum herumkommen. Noten sind einfach der beste Weg, um Musik schriftlich festzuhalten. Ist die Musik nämlich aufgeschrieben, ist sie dadurch quasi „aus der Zeit“ genommen, und du kannst dich in aller Ruhe in deinem Tempo mit ihr befassen. Und dann auch viel besser erkennen, wie das Ganze funktioniert.
Die gute Nachricht: Um das freie Klavierspielen zu lernen, brauchst du nur wenige Notenkenntnisse. Und: Notenlesen ist überhaupt nicht schwierig. Es gibt viel mehr Buchstaben, als es Notennamen gibt. Auch gibt es eigentlich nur zwölf verschiedene Tasten, die sich in jeder Oktave wiederholen. Und: Ich habe in meinen über 25 Jahren Unterrichtstätigkeit noch niemanden getroffen, der nicht in der Lage gewesen wäre, Noten lesen zu lernen. Und du kannst das auch!
Als die ersten Ideen für mein Buch „kreative Klavierbegleitung“ in meinem Kopf herumschwirrten, wollte ich übrigens zuerst ein Buch ohne eine einzige Note schreiben. Ich fand den Gedanken sehr reizvoll. Aber schnell wurde mir klar, dass das wahnsinnig kompliziert werden würde. Erklär zum Beispiel mal Voicings oder bestimmte Grooves ohne Noten… So wurde es dann eben doch ein Buch mit Noten, und des hat dennoch – oder gerade deshalb? – Vielen geholfen.