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Gebrauchte Klaviere: Wie du Top von Schrott unterscheiden kannst.

Zum Klavier lernen braucht man, na klar, ein Klavier. Und tolerante Nachbarn. Wenn du dich für ein akustisches Klavier entschieden hast stellt sich die Frage: woher nehmen (nein, stehlen kommt nicht in Frage, das ist erstens verboten und zweitens sind die Dinger viel zu schwer!)

Ein neues Klavier kostet je nach Marke ungefähr zwischen €3000,- und €20000,- Das ist eine ganze Menge Geld! Aber zum Glück gibt es viele Gebrauchtinstrumente auf dem Markt.  

Willst du wissen, wie du hier die Spreu vom Weizen trennen und ein richtiges Schnäppchen machen kannst? Dann lies weiter!

Am Allerbesten ist es, wenn du einen Klavierbauer (Klavierstimmer) kennst, der mit dir das Instrument besichtigt. Vielleicht kannst du ihm ansonsten auch Bilder schicken, und er sagt die seine Meinung zu dem Instrument. Klavierstimmer haben mit sehr vielen unterschiedlichen Klavieren zu tun und können das in der Regel sehr gut einschätzen, welches Instrument sich zu welchem Preis lohnt.

  1. Marke

Vor dem 2. Weltkrieg hatte der deutsche Klavierbau seine Blütezeit. Zahlreiche kleine und große Unternehmen fertigten Klaviere und Flügel in Handarbeit und wetteiferten um immer bessere und ausgefeiltere Techniken, um ihre Klaviere weiter zu verbessern. Auch war die Holzqualität damals sehr gut, denn es wurde nur in kleinen Stückzahlen produziert und die Firmen konnten das Holz lange lagern lassen. Im Krieg sind leider auch viele der Holzlager abgebrannt, was für viele Hersteller das Aus bedeutet hat.

Durch die im Lauf der Zeit immer stärkere Konkurrenz aus Asien mussten viele der guten Firmen aufgeben. Einige der damals großen Marken wurden ins Ausland verkauft. Der Name „Schwechten“ zum Beispiel, damals einer der großen Berliner Klavierbauer, gehört heute der „Shanghai Piano Company”. 

Von diesen meisterhaften Klavieren sind heute viele auf dem Gebrauchtmarkt zu finden, darunter echte Schätze zum Schnäppchenpreis. Mein Tipp: Lieber ein älteres Edel-Klavier nehmen als ein jüngeres Billig-Klavier aus Fernost. 

Hochwertige Klaviere wurden unter anderem gebaut von:

Adam (Wesel), Bechstein (Braunschweig), Berdux (München), Blüthner (Leipzig), Bösendorfer (Wien), Goebel & Brinkmann (München), Burger Jacobi (Bielbieneux Swiss), Dörner (Stuttgart), Ehrbar (Wien), Euterpe (Langlau), Feurich (Leipzig), Förster (Löbau), Görs & Kallmann (Berlin), Grotrian-Steinweg (Braunschweig), Haegele (Pfofeld), Helmholtz (Hannover), Hoffmann (Pfofeld), Ibach (Schwelm), Irmler (Leipzig), Kaps (Dresden), Knake (Münster), Krauss (Stuttgart), Kuhla (Berlin), Lipp & Sohn (Stuttgart), Mand (Koblenz), Matthaes (Stuttgart), Neupert (Bamberg), Niendorf (Luckenwalde), Pfeiffer (Stuttgart), Ritmüller (Göttingen), Rohlfing (Osnabrück), Rösler (Dresden), Roth & Junius (Hagen) Sauter (Spaichingen), Schiedmayer (Stuttgart), Schimmel (Braunschweig), Schmitt (Hagen) Seiler (Kitzingen), Schwechten (Berlin), Steingraeber (Bayreuth), Steinway & Sons (Hamburg), Thürmer (Meißen), Trautwein (Berlin), Uebel & Lechleiter (Heilbronn), Urbas & Reisshauer (Dresden), Vogel (Plauen), Wolfframm (Dresden), Tetsch & May (Emmerich), …

Mein G.Schwechten-Klavier (ca. 1924), dass du weiter unten sehen kannst, habe ich übrigens für schlappe €200,- aus einer Haushaltsauflösung. Es ist top verarbeitet und klingt wirklich fantastisch!

2. Technik

Das Klavier wurde Ende des 17. Jahrhunderts von Bartolomeo Cristofori erfunden. Also eigentlich war es ein Hammerflügel, aber die Idee Saiten mit Hämmerchen anzuschlagen und nicht zu zupfen (wie beim Cembalo) war damals völlig neu. Seitdem wurden die Klaviere immer weiter verbessert, bis sie, wie viele Musikinstrumente, ihr Optimum erreicht haben. 

Beim Kauf eines älteren Klaviers solltest du zuerst auf die Dämpfung achten: Bis ca. 1910 wurde in Klavieren noch die Dämpfung oberhalb der Hämmer montiert (Oberdämpfer), was die Stimmung und Regulation erschwert.

Bei diesem Klavier hingegen sind die Hämmer ganz oben, darunter liegen die Dämpfer. Es handelt sich also um eine Unterdämpfung.

Was du nun genau vor dir hast, wenn du ein altes Klavier besichtigst, findest du ganz einfach so heraus: Wenn du oben die Klappe aufmachst und hast freie Sicht auf die Hämmer: Unterdämpfer. 

Mein Tipp: Kauf ein Klavier mit Unterdämpfung. 

Ein weiteres Qualitätsmerkmal hochwertiger Klaviere sind die sogenannten Agraffen: Das sind die oben liegenden Saitenführungen aus Metall, bei denen jede einzelne Saite durch ein eigene Bohrung geführt wird. Natürlich gibt es auch sehr gute Instrumente mit Silie und Druckstab, aber wie bei den Spreizen sind Agraffen ein Hinweis darauf, dass die Klavierbauer großen Wert auf Qualität gelegt haben.

Und noch ein Qualitätsmerkmal: Die Spreizen (Metallstreben) der Gußplatte. Mein Schwechten-Klavier z.B. hat insgesamt fünf Streben. Das gibt dem Ganzen mehr Stabilität und dadurch ist mein Klavier sehr stimmstabil. Bei den meisten Klavieren sind es hingegen vier.

Und noch ein Merkmal: Die Tastenbeläge. Links im Bild billige Plastikbeläge bei einem russischen Klavier, rechts Beläge aus Elfenbein, erkennbar an der leicht ungleichmäßigen Färbung und der Maserung. Elfenbeinbeläge sind angenehmer zu spielen, weil sie Feuchtigkeit aufnehmen können, und so auch bei schweißtreibenden Technikübungen nicht an Griffigkeit verlieren. Da der Handel mit Elfenbein heute sehr stark reglementiert und rechtlich heikel ist, werden solche Beläge oft als “Naturbeläge” bezeichnet.

3. Sound

Entscheidend: Der Sound. Ist bei gebrauchten, oft völlig verstimmten Klavieren teilweise schwer zu beurteilen. Du kannst in jedem Fall die untersten Tasten drücken, dort wird jeweils nur eine Saite pro Ton angeschlagen, so dass die Verstimmung nicht so auffällt. Mir persönlich ist wichtig, dass der Bassbereich ordentlich Druck macht und nichts scheppert (oft Rost in den Saiten!) Halte auch die Tasten gedrückt und hör dir an, wie lange die Töne ausklingen. Je länger, desto besser. Du kannst auch das rechte Pedal drücken und alle Tasten spielen, dann das Pedal loslassen. Wenn Töne nachklingen heißt das, dass die Dämpfung nicht sauber arbeitet. 

4. Zustand 

Es gibt so gut wie nichts, was sich an einem Klavier nicht reparieren lässt. Aber du willst ja Geld sparen – also sieh genau hin, bevor du dir irgendein „Wrack“ ins Haus holst! Zuerst einmal, wie beim Gebrauchtwagenkauf, der Gesamtzustand. Sind die Tastenbeläge schon sehr abgegriffen (Mulden!) und das rechte Pedal fast durchgescheuert, wurde das Klavier sehr intensiv genutzt. Dann sind wahrscheinlich auch die anderen Teile dementsprechend belastet worden, also Vorsicht. Dann solltest du folgendes abchecken:

  • Resonanzboden: Den sieht man oft von der Rückseite, ansonsten das Klavier vorne oben und unten öffnen und genau hinsehen. Grobe Risse sorgen oft für Störgeräusche beim Spielen und sind sehr aufwändig in der Reparatur. Feine Risse hingegen sind kein K.O.-Kriterium, aber besser ist natürlich ohne.
  • Saiten: Sieh gründlich nach, ob keine gerissenen Saiten dabei sind. Gerissene Saiten habe ich vor allem bei den Musikhochschulklavieren gesehen, die ja über zwölf Stunden täglich (!) in Gebrauch sind. Zudem sind gerissene Saiten im Bassbereich sehr teuer, da sie speziell auf das jeweilige Instrument angepasst sein müssen. Oft muss man sich solche Saiten extra herstellen lassen. Auch Rost auf den Saiten ist kein gutes Zeichen und deutet darauf hin, dass das Klavier zu feucht gestanden hat.
  • Hammerköpfe: Die Filzhämmerchen verformen sich über die Jahre, weil die Saiten Abdrücke darauf hinterlassen. Ein Klavierbauer kann die oberen Lagen entfernen und die Filze herrichten, aber das kostet natürlich etwas. Schau von oben entlang der Saiten auf die Vorderseite der Filze. Sieh dir auch die Hammerköpfe von der Seite an: Optimal ist eine schöne Tropfenform. Schlecht ist es, wenn die Hämmer vorne „platt“ sind.
  • Stimmwirbel: Überhaupt kein Problem, wenn das Klavier verstimmt ist. Allerdings sollte es eine Stimmung möglichst lange halten. Sieh dir im oberen Drittel die Stimmnägel an: Sehen sie abgewetzt aus, wurde das Klavier sehr oft oder unfachmännisch gestimmt.  Kein gutes Zeichen. Die Stimmwirbel sollten zudem etwas nach oben gucken (also entgegen dem Zug der Saiten) – hängen sie eher nach unten, ist das ein schlechtes Zeichen. Dann sieh dir die Löcher an, in denen die Stimmwirbel stecken. Rund = gut, oval = schlecht. Wenn du einen Stimmhammer hast, frag den Eigentümer, ob du mal ein kleines bisschen an den Stimmwirbeln drehen darfst (aber unbedingt nur ein paar Grad!!!) Sitzen sie fest = gut, sehr locker = schlecht. Lockere Stimmwirbel halten die Stimmung nicht.
  • Regulation: Schau entlang der Dämpfer und Hämmer – die sollten in „Reih‘ und Glied“ stehen. Sind sie arg durcheinander, muss die Mechanik reguliert werden. Das kann durchaus einige Zusatzkosten verursachen, je nach Aufwand.
  • Gussplatte: Es kommt vor, dass die Spreizen der Gussplatte Risse bekommen, meistens im mittleren Bereich. Für einen Laien schwer zu erkennen, aber halte trotzdem die Augen offen. Eine gerissene Gussplatte kann dazu führen, dass das Klavier nicht mehr gestimmt werden kann. Totalschaden!

5. Pflege

Was man wertschätzt, das pflegt man. Steht das fragliche Klavier im Wohnzimmer, wurde bis vor kurzem noch bespielt und sieht ordentlich aus, ist das schonmal ein gutes Zeichen. Steht es hingegen in der Garage oder im Schuppen im Garten (ja, das habe ich auch schon gesehen!), Vorsicht. Dort ist es oft zu feucht, und Feuchtigkeit mögen Klaviere gar nicht. Die Hölzer quellen auf (das macht die Mechanik träge), die Saiten rosten und die Filze verhärten. Und ja, Klaviere können auch Schimmeln! Ebenso schlecht ist Trockenheit. Dann ziehen sich die Hölzer zusammen, das führt zu Lockeren Verbindungen, schlechter Stimmhaltung und Rissen im Holz. Frag also nach, wo das Klavier die letzten Jahre gestanden hat und wie oft es umziehen musste. 

Nicht schlimm, aber fast immer vorhanden: Die “Trauerringe” auf dem Deckel oben, wo die Oma ihre Vase hingestellt hatte und beim Gießen ab und zu etwas Wasser daneben gelaufen ist.

Ein Klavier muss regelmäßig gespielt und gestimmt werden. Wenn du dein Traumklavier gefunden hast, stell es an einen trockenen Ort mit möglichst konstanter Luftfeuchtigkeit und Temperatur, also weder an die Heizung noch an die Außenwand eines Altbaus. Mehr zur Pflege eines Klaviers hier

Hier noch ein Beispiel aus meiner Suche nach einem gebrauchten Klavier. Ein Trautwein-Klavier, optisch ein Traum, das Gehäuse tadellos erhalten, wie neu! 

Außen hui, innen pfui: Eine Augenweide von Trautwein, wirtschaftlich allerdings ein Totalschaden.

Allein deswegen hätte ich es fast gekauft. Aber innen – lockere Wirbel, rostige und gerissene Saiten, Oberdämpfung. Dagegen mein Schwechten-Klavier: Ein zurückhaltender schwarzer Kasten mit dezenten Jugendstilelementen, völlig verstimmt. Aber tiptop in Ordnung für ein Klavier, das auf die 100 Jahre zugeht! Für €200,- ein echter Glücksgriff!

Fotos vom Besichtigungstermin beim Eigentümer: Schwechten Konzertklavier ~1924, bescheiden im Auftritt, gewaltig im Klang!

Hier nochmal eine To-Do-Liste:

  1. Durchstöbere Kleinanzeigen in Zeitungen und im Internet.
  2. Triff eine Vorauswahl anhand des Herstellers, Baujahrs und allem, was du telefonisch klären kannst.
  3. Guck dir das Instrument vor Ort an und gehe die Punkte oben durch.
  4. Mach Fotos (v.a. von innen!) und schick sie an einen Klavierbauer deines Vertrauens mit der Bitte um seine Einschätzung.
  5. Wenn du dann ein paar Klaviere in die engere Auswahl genommen hast, mach eine Besichtigung mit dem Klavierbauer. Dafür solltest du 30-50€ investieren.
  6. Der Transport: Überlege dir vorher, wie du dein Klavier nach hause bekommen willst. Klaviere sind schwer und dementsprechend aufwändig zu transportieren. Da will jede Stufe und jedes enge Treppenhaus vorher gut bedacht sein. Du brauchst für den Transport mindestens vier starke Männer, einen Rollwagen, Transportgurte und einen Anhänger oder Transporter. Um Sach- und Personenschäden zu vermeiden solltest du die Beauftragung eines Schwertransportunternehmens oder gleich einer Klaviertransportfirma ernsthaft überlegen.
  7. Hat das Klavier seinen Bestimmungort gefunden, gib ihm etwas Zeit sich an die neuen Bedingungen (Luftfeuchtigkeit, Temperatur) zu gewöhnen, und lass es dann stimmen.
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John
John
7 Monate zuvor

Irmler soll jetzt nicht so toll sein, auf keinen Fall in derselben Riege wie mit Sauter oder Schimmler lt. der Aussage eines Klavierstimmers in Leipzig

Selenge
Selenge
1 Jahr zuvor

Vielen Dank!

JGlenk77
Admin
1 Jahr zuvor

Ja, tatsächlich. Schimmel wächst ja auch an Hausinnenwänden. Wegen des Verkaufs: Wenn es ein älteres Modell einer nicht-Spitzenmarke ist, würde ich es unbedingt bei Kleinanzeigen anbieten, sonst wird’s schwierig. Da kann man eher froh sein, wenn man es überhaupt los wird.

Maria Schwarz
Maria Schwarz
2 Jahre zuvor

Bisher wusste ich tatsächlich nicht, dass Klaviere durch Feuchtigkeit schimmeln können. Mein Klavier wird seit Jahren nicht mehr genutzt und der Platz muss für andere Sachen genutzt werden, weshalb ich es verkaufen möchte. Hoffentlich finde ich dafür einen passenden Ansprechpartner für den Klavier Ankauf.

*Link durch Admin entfernt*

Pit
Pit
4 Jahre zuvor

Sehr hilfreich, danke.

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